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Beitrag vom 25.08.2013
Zweites Wahlforum 2013 - Frauen fragen Spitzenkandidat_innen
Lou Zucker
Von Altersarmut bis Quote: Was planen die Parteien nach der Bundestagswahl in Sachen Frauenförderung? Der LandesFrauenRat und die Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten der Bezirke luden die...
...Berliner Spitzenkandidat_innen ein, sich den Fragen von 110 interessierten Bürgerinnen zu stellen. Frauenpreisträgerin Sharon Adler moderierte.
Das Betreuungsgeld muss weg. Darüber schien Einigkeit zu herrschen an allen sechs Tischen, an denen Frauen am Montag, den 19. August 2013 im Rathaus Charlottenburg mit den Spitzenkandidat_innen der Berliner Landeslisten debattierten. Allein Monika Grütters (CDU) gab zu bedenken, mensch dürfe den ländlichen Raum nicht vergessen, in dem es sich für sehr wenige Kinder in einem Dorf oft nicht "lohne" eine Kita einzurichten. Dass sich das Betreuungsgeld in den Großstädten nicht als sinnvoll erwiesen habe, gestand auch sie ein. Ihre Partei plant dennoch, daran fest zu halten. Grütters Argument: Jedes Elternteil könne und solle schließlich selbst entscheiden, ob es das Angebot wahrnehmen, oder sein Kind in einer Kita betreuen lassen wolle.
Selbst FDP will Betreuungsgeld abschaffen
Mieke Senftleben vom Koalitionspartner FDP hingegen sprach sich – ebenso wie alle Vertreter_innen des linken Sprektrums - unverhohlen gegen die von Schwarz-Gelb beschlossene Maßnahme aus. Die gesamten familienpolitischen Leistungen bedürften einer Revision, so die stellvertretende Landesvorsitzende, die in Vertretung des Berliner Spitzenkandidaten Martin Lindner gekommen war.
Weniger Einigkeit herrschte beim Thema Quote. Einer Bilanz des FidAr (Frauen in die Aufsichtsräte e.V.) zufolge ist der Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen seit Januar 2011 zwar gestiegen – allerdings nur um 5,1 Prozentpunkte. In den Aufsichtsräten beträgt er derzeit 17,2 Prozent, von den Vorstandsposten sind gerade einmal sechs Prozent weiblich besetzt.
Während Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) ihre absolute Befürwortung einer Frauenquote für wirtschaftliche und politische Gremien betonte, äußerte sich Eva Högl vom Wunsch-Koalitionspartner SPD verhaltener. Sie umschiffte das Thema mit der Formulierung "Repräsentanz von Frauen in allen Bereichen der Gesellschaft". Als eindeutige Verfechter_innen der Quote bekannten sich außerdem Gregor Gysi (Die Linke) und Lena Rohrbach, welche als Genderexpertin der Piraten-Partei die Berliner Spitzenkandidatin Cornelia Otto begleitete. Um der Diskriminierung von Frauen auf unteren Ebenen der Betriebe vorzubeugen, schlug sie außerdem anonymisierte Bewerbungsverfahren vor. Da ihre Partei basisdemokratisch organisiert sei, könne sie allerdings nicht versprechen, dass im Zweifelsfall tatsächlich für eine Frauenquote gestimmt werde.
"Armut ist immer weiblich"
Monika Grütters erklärte 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen zum Ziel bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode – wie dies zu erreichen sei, erläuterte die Christdemokratin jedoch nicht näher. Erwartungsgemäß sieht auch die FDP keine Quotenregelung vor. Mieke Senftleben wähnte die Frauen auf ihrem Weg zur Gleichstellung in Führungspositionen dank Fachkräftemangel und hoher Qualifikationen bereits auf einem guten Weg.
"Armut ist immer weiblich" – mit diesen Worten brachte Gysi als einer von drei Männern im Saal das Thema Entgeltungleichheit auf den Punkt. Seine Forderung: Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit. Typische Frauenberufe, so der ehemalige Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, würden stets schlechter bezahlt, auch wenn beispielsweise eine Krankenpflegerin ebenso anstrengende und verantwortungsvolle Arbeit verrichte, wie ein Arbeiter in der Stahlindustrie. Dieser Missstand ziehe Altersarmut bei Frauen als direkte Folge nach sich. Sein Fazit: Die Zeitgeist müsse sich ändern, unter anderem mithilfe der Medien. Entsprechend eine Frauenquote für die Führungsposten in den öffentlich-rechtlichen Sendern einzuführen, gehörte jedoch nicht zu seinen Vorschlägen.
Die geplanten Maßnahmen im Kampf gegen die fortwährenden 22 Prozent Gender-Pay-Gap unterscheiden sich innerhalb des linken Spektrums kaum. SPD, Grüne, Linke, Piraten – sie alle wollen den flächendeckenden Mindestlohn, ein Auslaufen der 400-Euro-Jobs ohne Sozialversicherung, ein Entgeltgleichheitsgesetz und die (schrittweise) Abschaffung des Ehegattensplittings in seiner bisherigen Form.
Von Ehegattensplitting bis polyamouröse Ehe
Die CDU hält am Ehegattensplitting fest, plant es aber, laut Wahlprogramm, um ein "Familiensplitting" zu erweitern, bei dem Kinder stärker berücksichtigt werden. Überhaupt hebt das Wahlprogramm der Unionsparteien die Förderung von Ehe und Familie immer wieder hervor – und lehnt im gleichen Atemzug als einzige Partei die rechtliche Gleichstellung eingetragener Lebenspartnerschaften mit der Ehe ab.
Ein weiteres Vorhaben der Union ist die Anerkennung von Erziehungszeiten bei der Rente von Eltern, deren Kinder vor 1992 geboren sind – genannt "Mütterrente". Die 22 Prozent Lohnungleichheit, so Grütters, seien nicht geringerem Stundenlohn, sondern vermehrter Teilzeitarbeit von Frauen geschuldet. Dass für die gleiche Arbeit ungleicher Lohn gezahlt werde – die Differenz beträgt nach wie vor 8 bis 9 Prozent – sei ein Missstand, der im öffentlichen Dienst nicht vorkomme und in der Privatwirtschaft von Seiten der Politik nicht zu beheben sei.
Mit Entgeltungleichheit in direktem Zusammenhang steht die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – oder auch, wie Grütters betonte, von Karriere und Familie. Ein Rechtsanspruch auf Rückkehr in Vollzeit nach einer Phase der familienbedingten Teilzeitarbeit war – von unterschiedlichen Ausgestaltungen abgesehen – Konsens unter den Kandidat_innen.
Wer dabei Sorge bekam, die Parteien bald nur noch an den unterschiedlichen Farbzuordnungen auseinanderhalten zu können, konnte sich immerhin von Lena Rohrbach mit ein paar zusätzlichen Ideen erfrischen lassen: Die Piraten wollen die "Pille danach" von der Rezeptpflicht befreien und für verschiedene Formen des verantwortungsvollen Zusammenlebens die Möglichkeit eines Ehe-ähnlichen Vertrags einführen – von Wohngemeinschaften über Geschwister bis hin zu polyamourösen Beziehungen. Auch mit ihrem queerpolitischen Programm heben sie sich von ihren etablierten Kolleg_innen ab: Sollte die junge Partei tatsächlich die Fünf-Prozent-Hürde knacken, plant sie, sich für die Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen einzusetzen, die sich jenseits des Geschlechtsdualismus von männlich und weiblich verorteten.
Väter zum Wickeln zwingen
Zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie forderte Rohrbach mehr Teilzeitstellen in Führungspositionen sowie in der Ausbildung, außerdem mehr Flexibilität am Arbeitsplatz, beispielsweise die Möglichkeit, zum Teil von zu Hause aus zu arbeiten. In diesem Punkt überschnitt sich die junge Freibeuterin mit dem Programm der FDP.
Der Ausbau von Kitaplätzen war ebenfalls kaum Anlass zu Kontroverse. Allein die Regierungsseite rühmte sich mit dem eingeführten Rechtsanspruch, während die Opposition den Ausbau durch die Einsparungen beim Betreuungsgeld voranzutreiben gedachte.
Gestritten wurde dagegen um die Vätermonate. Grütters großer Zufriedenheit über den Erfolg des Angebots widersprach eine der Teilnehmer_innen an der Gesprächsrunde: Viele Väter würden nur zwei Monate über Weihnachten nehmen und einen verlängerten Urlaub machen. Das sei auch für die Betriebe ein Problem, weil für so kurze Zeit nicht immer eine Vertretung eingestellt werden könne. Ihr Vorschlag: Väter müssten mindestens vier Monate Elternzeit nehmen. Oder aber das Elterngeld solle nur ausgezahlt werden, wenn beide Eltern paritätisch Auszeit nähmen.
Gegen eine derartige "erzieherische" Maßnahme verteidigte die Christdemokratin vehement die Wahlfreiheit und Mündigkeit der einzelnen Bürger_innen. Selbst Künast hatte Bedenken. Ihren Ansatz, mit faulen Vätern umzugehen, fasste sie in das Zitat: "Die Geduld der Frauen ist die Macht der Männer".
Weitere Infos unter:
www.frauenrat.de
www.frauenbeauftragte.de
www.fidar.de
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